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Sportwetten-Krimi immer irrer: Zocker abgezockt? Anwalt klärt auf

Köln | Wigald B. staunte nicht schlecht, als er vor wenigen Tagen im Netz surfte. Der einst Spielsüchtige gehört zu vielen tausenden Zockern, die mittels Prozessfinanzierern versuchen, ihre Wettverluste bis zum Jahr 2021 einzuklagen.

Möglich könnte dies die Rechtslage machen, denn eben bis 2021 hatten diverse Anbieter von Online-Sportwetten keine gültige Lizenz, um diese anzubieten. Taten es aber.

Mit Spannung wird deshalb der Entscheid vom höchsten Europäischen Gericht, dem EuGH, in der Sache in wenigen Wochen erwartet.

Istvan Cocron ist Top-Experte in der Debatte

Doch nun scheint alles wieder anders zu kommen, wie der Enthüllungsbericht eines maltesischen Investigativportals („Malta Media“) verriet. Demnach seien Gelder rechtzeitig ausgelagert worden, um einer möglichen Vollstreckung zu entgehen. Werden die Zocker also nochmal abgezockt? Doch lassen wir einen Experten zu Wort kommen.

Rechtsanwalt Istvan Cocron vertritt mit seiner Kanzlei bundesweit Spieler, die ihre Verluste aus Online-Sportwetten oder Glücksspiel zurückfordern möchten und ist stets up to date und bei den verfahren persönlich vor Ort. . .

Herr Cocron, wie bewerten Sie die aktuelle Entwicklung rund um die Enthüllung in Malta Media?

COCRON: Es scheint sich um eine bereits länger laufende Aktion von TIPICO zu handeln, wenn man sich die bisher veröffentlichten Jahresberichte anschaut. Interessant aus Sicht der betroffenen Spieler ist, dass die Meldung nun genau in dem Zeitpunkt kommt, in dem viele Klageverfahren aufgrund der laufenden Verhandlungen vor dem Europäischen Gerichtshof ausgesetzt sind. Für Kläger ist es zudem immer wichtig, zu wissen, wenn der Prozessgegner Vermögenswerte bewegt, da dies grundsätzlich immer auch Einfluss auf die spätere Haftungsmasse hat.

Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass Kläger, die in Besitz einer vollstreckbaren Entscheidung sind, gemeinsam mit ihren Anwälten entsprechende Sicherungsmaßnahmen ergreifen, um die spätere Vollstreckung zu sichern, Nach unseren Informationen wird aktuell von mehreren Seiten geprüft, ob  von Seiten der Anbieter auch ausreichend Rückstellungen gebildet wurden, um die aktuell geltend gemachten Schadenersatz- und Rückforderungsansprüche nebst Zinsen und Kosten später auch erfüllen zu können. Der aktuelle Vorstand von TIPICO hat zuletzt in einem Interview bei der FAZ erklärt, dass sich TIPICO jedenfalls nicht hinter dem auf Malta noch geltenden Vollstreckungsschutz durch die „Bill55“ verstecken wird. Aktuell besteht kein Anlass, an dieser verbindlichen Aussage des Geschäftsführers zu zweifeln.

Symbolfoto

Denken Sie man kommt damit durch und spart sich die Rückzahlungen?

COCRON: Man muss das auf jeden Fall sehr sorgfältig beobachten. Es gibt bereits einen lizenzierten Anbieter, der vor der Lizenz ebenfalls in Deutschland Glücksspiel angeboten hat, was durch eine Vielzahl von Urteilen als illegal eingestuft wurde, so dass der Anbieter bereit mehrfach zur Rückerstattung der dort entstandenen Verluste verurteilt wurde.

Diesem Anbieter ist es nun gelungen, seine Lizenz auf eine neue Gesellschaft zu übertragen. Die GGL hat der Übertragung der Lizenz zugestimmt. Auch hier  laufen entsprechende Recherchen und rechtliche  Prüfungen sowie etliche weitere Schadenersatzklagen.

Überrascht Sie, dass Medien bislang kaum berichten?

COCRON: Der Sachverhalt ist komplex, schon aufgrund der internationalen Bezüge. Aber es ist nicht so, dass die Medien den Sachverhalt nicht entdeckt hätten, Im Gegenteil: Wir wissen von mehreren Rechercheplattformen, die das Thema auf dem Tisch haben und aktuell dazu recherchieren. 

Welche Rolle spielt die Glücksspielaufsichtsbehörde?

COCRON: Das ist ein schwieriges Thema. Wenn man sich ansieht, was allein im letzten Jahr an Verstößen gegen die Regelungen aus dem GlüStV 2021 an die GGL gemeldet wurde und welche Maßnahmen von dort ergriffen wurden, um die Verstöße zu ahnden, ist es für Betroffene schwer, noch eine aufsichtsrechtliche Durchsetzung des Spielerschutzes zu glauben.

Viele Betroffene berichten uns, dass sie es unerträglich finden, dass vormals illegal tätige Anbieter, ihre durch die illegale Tätigkeit erwirtschafteten Gewinne behalten dürfen, um damit ihr neues lizenziertes Geschäft aufzubauen. Für die Betroffenen ist ebenfalls nicht nachvollziehbar, warum die Anbieter nicht verpflichtet sind, auch in Deutschland einen Firmensitz zu unterhalten, wenn der Geschäftsbetrieb schwerpunktmäßig auf Deutschland ausgerichtet ist. 

Eine Kollege hat es diese Woche wie folgt formuliert:

„Ich hatte der GGL schon vor einigen Monaten geschrieben, dass wenn diese Lizenzübertragungen weiter gehen, die Anbieter nur alle 2 Jahre eine neue Briefkastenfirma ins Impressum schreiben müssen, und damit sämtlicher Spielerschutz durch Limits umgangen wird, siehe XXX.

Antwort GGL: Die „neue“ Firma habe zugesichert, sich an die Regeln zu halten. Das ist nicht nur naiv, dass ist aktiv dumm.

Würden Sie einen Spieler noch raten den Klageweg zu suchen? . 

COCRON: Ja. Es geht darum, den Anbietern klar zu machen, dass sich, wie jeder andere Marktteilnehmer auch, an die geltenden Regelungen halten müssen. Die Rechtsprechung ist Deutschland ist zudem bisher auf der Ebene der Amts- Land- und Oberlandesgerichte eindeutig: Verluste aus Zeiträumen, in denen die Glücksspielanbieter keine Lizenz hatten, sind zurückzuerstatten. Auch bei entsprechenden Verletzungen der Regelung über das Einsatz- und Einzahlungslimit haben zwischenzeitlich eine Vielzahl von Urteilen bestätigt, dass hier entsprechende Rückforderungsansprüche bestehen.

Sobald man ein Urteil erstritten hat, kann man die Vollstreckung  einleiten und seine Ansprüche sichern. Auch Spieler, die keine finanziellen Mittel mehr haben, um ihre Verluste gerichtlich geltend zu machen, müssen nicht unbedingt auf die Unterstützung von Prozessfinanzieren zurückgreifen, In Deutschland gibt es auch die Möglichkeit, Prozesskostenhilfe zu beantragen. In diesem Fall übernimmt dann der Staat die Anwalts- und Gerichtskosten für den jeweiligen Kläger. Auch eine Ratenzahlung der Anwaltskosten dürfte mit den meisten Kollegen zu vereinbaren sein. Man sollte sich daher auch weiterhin nicht abschrecken lassen, die einem zustehenden Rechte auch gerichtlich durchzusetzen.

Ist Spielsucht, sind speziell Sportwetten, ein gesellschaftlich unterschätztes Thema?

COCRON: Auf jeden Fall, Wir haben hier in unserer Kanzlei nahezu täglich mit einer sehr großen Zahl an zum Teil wirklich tragischen Einzelfällen zum Thema Spielsucht zu tun.  Es sind sehr  oft junge Männer, die sich aus dem Sog der Online-Sportwetten nicht mehr befreien können und nicht nur ihre gesamte wirtschaftliche Existenz, sondern auch ihre Familien und Freunde durch  die Spielsucht verloren haben. Viele berichten, dass Sie  selbst dann noch mit massiver Werbung der Anbieter überflutet werden, wenn sie dort mitgeteilt haben, dass sie nicht mehr spielen möchten.

Die Summen, die mit diesen Spielsüchtigen erwirtschaftet werden, sind enorm. Ich habe in den letzten fünf Jahren und nach der Betreuung von mehreren tausend Geschädigten keinen  einzigen Spieler kennengelernt, der mir erzählt hätte, dass ihm sehr viel Freude bereitet hätte, bei Sportwetten € 30.000,00 zu verlieren. Vielmehr geht es in den Schilderungen der Spieler  fast immer darum, dass sie versuchen, die zuvor erlittenen Verluste, durch weitere, riskantere Wetten, wieder reinzuholen. Ich glaube, das beschreibt den Begriff der „Spielsucht“.

Auf der Fachtagung der deutschen Hauptstelle für Suchtfragen in Potsdam stellte ein Wissenschaftler zum Thema Online-Glücksspiel fest: Glücksspiel ist kein Spiel! Das bringt es aus meiner Sicht sehr  gut auf den Punkt.

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